Prokrustes – Ein Serienmörder und sein Prokrustesbett
Prokrustes war ein brutaler Serienmörder in der griechischen Mythologie. Unzählige Reisende fielen ihm zum Opfer. Durch Gastfreundschaft gewann er das Vertrauen seiner Opfer, um sie im Schlaf zu überraschen und auf grausame Weise zu foltern und zu töten. Warum Prokrustes (griechisch Προκρούστης, „Strecker“) ein mehr als passender Name für den Mörder ist, wie er seine Opfer umbrachte und wer ihn schließlich stoppte, das alles erfahrt ihr hier.
Inhaltsverzeichnis
Modus Operandi
Prokrustes war kein gewöhnlicher Mörder, er war ein Architekt des Schreckens, ein perfider Perfektionist. Sein Modus Operandi war so grausam wie konsequent: Er bot durchreisenden Wanderern Gastfreundschaft an: Essen, Wein und ein Bett für die Nacht. Doch dieses Bett war kein Ort der Geborgenheit und Erholung, sondern eine Falle mit nur einem Ziel: absolute Passform.
Niemand passte. Und das war kein Zufall.
War der Gast zu kurz, spannte Prokrustes ihn auf das Prokrustesbett und hämmerte auf den Körper seines wehrlosen Opfers ein, Glied für Glied, solange bis es ins Bett passte. Zu groß? Für den Unhold kein Problem. Überstehende Körperteile wurden kurzerhand abgesägt, Arme, Füße, Beine, manchmal auch den Kopf.
Es war keine Wut, keine Eifersucht, kein Zufall. Es war eine Methode. Eine grausame Gleichmacherei. Und so wurde aus einem Bett ein Folterinstrument, aus einem Gastgeber ein Henker – und aus Prokrustes ein Symbol für jedes System, das lieber Menschen verstümmelt, als sich selbst zu ändern.
Wer war Prokrustes?
Er war ein Sohn Poseidon und damit ein Halbgott. Wie viele der Söhne des Meeresgottes wurde auch Prokrustes von riesenhafter Gestalt und übermenschlicher Stärke beschrieben. Eine Mutter wird in den Quellen nicht eindeutig überliefert.

Sein wahrer Name soll Polypémon („Viel-Unheil“) oder Damastēs („Überwältiger“) gewesen sein, während Prokrustes lediglich sein sprechender Beiname war.
Prokrustes lebte den Erzählungen nach in der Region um Eleusis an der heiligen Straße zwischen Eleusis und Athen. Er war von Beruf Schmied. Seine Geschichte ist insbesondere mit dem athenischen Helden Theseus verknüpft, der in mykenischer Zeit (ca. 13. Jh. v. Chr., sagenhafte Epoche) verortet wird und gehört zur Sagenwelt Attikas in der Zeit der Heroen. Interessanterweise wird Theseus in manchen Überlieferungen ebenfalls als Poseidons Sohn angesehen, was Prokrustes und Theseus quasi zu Halbbrüdern machen würde.
Laut einigen Quellen soll Prokrustes eine Familie gehabt haben. Es wird ein Sohn namens Sinis erwähnt, der wie sein Vater zum Antagonisten von Theseus wurde und ebenfalls von diesem getötet wurde.
Prokrustes gegen Theseus
Die bekannteste überlieferte Erzählung über Prokrustes ist seine Begegnung mit dem Helden Theseus. Theseus, auf dem Weg von Troizen nach Athen, hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die Straßen von gefährlichen Räubern zu säubern.
Prokrustes war der letzte Unhold, dem er auf dieser Reise begegnete. Der Mörder bot dem Helden, nicht ahnend, wen er vor sich hatte, sein übliches Gastangebot an: Speis und Trank und eine Möglichkeit zu nächtigen. Theseus, auf der Hut, durchschaute aber sein Gegenüber. Mit Waffengewalt zwang Theseus den Unhold auf das Bett, fesselte ihn und streckte und stutze Prokrustes so zurecht, wie dieser es mit seinen Opfern getan hatte. Prokrustes wurde von Theseus gerichtet.
Die Überlieferungen variieren in den Details: In einigen hackte der Held dem Prokrustes Beine und/oder Kopf ab. In anderen habe er ihn auf einem Amboss in Stücke gehämmert. In allen Überlieferungen richtet Theseus den Prokrustes.
So endete Prokrustes’ Schreckensherrschaft am Fluss Kephisos in Attika. Theseus hatte die Gegend von diesem grausamen Serienmörder befreit und dabei ein Exempel statuiert: Das Böse findet sein Ende durch das Mittel, mit dem es selbst Böses tat. Ganz nach dem alten Testament: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Theseus trat als Ankläger, Richter und Henker in Erscheinung.
Nach Prokrustes’ Tod gelangte Theseus endlich nach Athen und konnte dort seinen Platz als rechtmäßiger Erbe antreten. Prokrustes bildet somit den Abschluss von Theseus’ Initiationsreise und steht symbolisch für die letzte Hürde, die der Held überwinden muss, um sein Ziel zu erreichen.
Das Prokrustesbett
Das berühmte Prokrustesbett ist mehr als nur ein grausames Werkzeug, es ist ein Symbol für Zwang und Grausamkeit, das bis heute in Sprichwörtern und Metaphern nachhallt. Prokrustes nutzte sein Eisenbett als perfide Falle für Reisende: War der Gast zu kurz, hämmerte er ihn mit Schmiedehammer oder Fäustel auf die passende Länge, war er zu lang, sägte er die überstehenden Gliedmaßen ab.

Manche Überlieferungen berichten sogar von zwei Betten – einem langen und einem kurzen –, um seine Opfer immer „passend“ machen zu können.
Doch niemand passte je hinein, und gerade darin lag die grausame Pointe seines Tuns. Über die Jahrhunderte wurde das Bett sprichwörtlich für alle Situationen, in denen Menschen oder Dinge rücksichtslos einem starren Schema unterworfen werden.
Literaten, Philosophen und Karikaturisten wie Jacques Derrida griffen das Bild des Prokrustesbetts auf, um auf Missstände wie Bürokratien, Ideologien und Zwang zur Gleichmacherei hinzuweisen.
Auch der babylonische Talmud erwähnt eine ähnliche Bett-Falle und zeigt so, wie weit der Mythos über Griechenland hinauswirkte.
In der griechischen Mythologie steht Prokrustes für die Gefahr uniformierender Zwänge, für die Anmaßung, andere gewaltsam zurechtzubiegen, und für den schändlichsten Verrat an der heiligen Gastfreundschaft, einem der höchsten sozialen Werte jener Zeit.
Sein Bett wurde so zum Sinnbild für Unmenschlichkeit und die zerstörerische Kraft von Zwang und Hybris.
Steckbrief
- Weitere Namen: Prokrustes („Strecker“), Polypémon („Viel-Unheil“), Damastēs („Überwältiger“)
- Eigenschaften: Sohn des Poseidon, hünenhafte Erscheinung, brutaler Serienmörder, der seine Opfer grausam verstümmelte
- Familie: siehe Stammbaum
Stammbaum
Prokrustes war einer der vielen Söhne des Poseidon. Mutter unbekannt. Laut einigen Überlieferungen war Prokrustes verheiratet und hatte einen Sohn namens Sinis.
Vater Poseidon | Mutter unbekannt |
Brüder Viele Halbbrüder, Poseidon hatte viele Söhne mit unterschiedlichsten Partnern, z.B. Amykos | Schwestern Auch hier war Poseidon bei Weitem nicht untätig |
Söhne Sinis | Töchter – |
FAQ
Wer war Prokrustes?
Prokrustes war ein Räuber und Serienmörder der griechischen Mythologie, berüchtigt dafür, Reisende auf ein Eisenbett zu zwingen und sie durch Strecken oder Abschneiden ihrer Gliedmaßen an dessen Größe anzupassen. Er gilt als Sohn Poseidons und wurde schließlich vom Helden Theseus getötet.
Was bedeutet der Begriff „Prokrustesbett“?
Prokrustesbett ist heute eine Redewendung für eine Situation, in der etwas gewaltsam in ein Schema gepresst wird, ohne Rücksicht auf Verluste. Die Metapher geht auf „Prokrustes“ Bett zurück, auf dem er seine Opfer brutal „passend gemacht“ hat. Oft kritisiert man mit dem Begriff starre Regeln oder Normen, die Individuen schaden.
Wie wurde Prokrustes getötet?
Prokrustes wurde vom jungen Helden Theseus besiegt. Theseus überwältigte ihn und zwang Prokrustes selbst auf sein Folterbett, um ihm dasselbe Schicksal zuzufügen, das er seinen Opfern bereitet hatte. Dadurch kam Prokrustes durch die eigene Methode ums Leben, ein Akt der Vergeltung und Gerechtigkeit.
War Prokrustes ein Gott oder ein Monster?
Prokrustes war kein Gott, sondern ein Halb-Mensch (Halbgott) und meist als riesenhafter Mensch beschrieben. Er hatte keinen besonderen göttlichen Status oder Kult. In den Geschichten verhält er sich wie ein grausamer Mensch (oder Riese), nicht wie ein tierisches Monster. Seine Grausamkeit macht ihn allerdings monströs im übertragenen Sinne.
Welche Quellen berichten über Prokrustes?
Hauptquellen sind antike Autoren: z.B. Plutarch (Vita Theseus), Diodor von Sizilien und Ovid erwähnen Prokrustes’ Geschichte. Pseudo-Apollodor fasst den Mythos ebenfalls zusammen. Zudem zeugen archäologische Funde (Vasenbilder, Statuen) von der Verbreitung der Sage schon im 5. Jh. v. Chr. Moderne Nachschlagewerke wie die Encyclopedia Mythica oder Encyclopædia Britannica liefern übersichtliche Zusammenfassungen.
Wofür ist Prokrustes auch heute noch bekannt?
Vor allem wegen der Redewendung vom Prokrustesbett und der Verwendung seines Mythos als Metapher. Sein Name steht symbolisch für erzwungene Gleichmacherei und rücksichtsloses Vorgehen. Literatur (z.B. Percy Jackson) und wissenschaftliche Diskussionen greifen das Bild bis heute auf, was dafür sorgt, dass Prokrustes im kulturellen Gedächtnis bleibt.
Was ist der Prokrustes-Komplex?
Der Begriff Prokrustes-Komplex wird in der Psychologie verwendet? Er beschreibt die Tendenz, andere Menschen an sich selbst zu messen und zur Not „zurechtzustutzen“. Der Prokrustes Mythos hat also sogar Eingang in Fachbegriffe gefunden.
Popkultur
Obwohl Prokrustes nicht so prominent ist wie manch anderer Mythos, hat er in der modernen Popkultur Spuren hinterlassen. Besonders bekannt ist seine Erwähnung in Rick Riordans Jugendbuchreihe Percy Jackson: Im ersten Band Diebe im Olymp (engl. The Lightning Thief) begegnen Percy und seine Freunde einem Betten-Verkäufer namens „Crusty“, hinter dem sich Prokrustes verbirgt. Diese Version des Prokrustes wird als Halbriese und Wasserbetten-Verkäufer in Los Angeles dargestellt, der versucht, Kunden auf magische Betten zu fesseln. Percy gelingt es – ganz wie Theseus – den Spieß umzudrehen, woraufhin Prokrustes in seinem eigenen Laden überwältigt wird. In der 2023 gestarteten Disney+ Serie „Percy Jackson and the Olympians“ taucht Prokrustes ebenfalls in einer Folge auf (gespielt von Julian Richings), was den Mythos einem neuen jungen Publikum näherbringt. Interessanterweise wird er dort als Percy Jacksons Halbbruder (beide Söhne Poseidons) dargestellt, was die Familienbande des Mythos kreativ aufgreift.
In der bildenden Kunst der Moderne ist Prokrustes kein häufiges Motiv, doch in der Karikatur und politischen Satire findet man sein Bett als Allegorie. So gibt es z. B. eine Karikatur von 1878, in der Reichskanzler Bismarck die personifizierte Freiheit in ein Prokrustesbett zwingt – ein drastisches Bild für repressive Gesetzgebung. Solche Darstellungen zeigen, wie der Mythos als zeitloses Symbol für Unterdrückung verwendet wird.
Prokrustes mag keine eigene Filmreihe oder breiten popkulturellen Bekanntheit wie Herakles oder Zeus haben, doch das Konzept des Prokrustes hat es in den allgemeinen Sprachgebrauch und Denkweise geschafft. Der Ausdruck „im Prokrustesbett liegen“ wird auch heute verwendet, um zu sagen, dass jemand oder etwas gewaltsam in ein Schema gepresst wird. In der Psychologie und Kritik an Wissenschaft oder Politik spricht man von“ prokrusteischen Methoden“, wenn z.B. Daten passend gemacht oder Menschen standardisiert behandelt werden, ohne Rücksicht auf Individualität. Durch solche übertragenen Bedeutungen bleibt Prokrustes in unseren Köpfen präsent.
Quellen
https://de.wikipedia.org/wiki/Prokrustes
https://praxistipps.focus.de/prokrustes-die-vollstaendige-griechische-legende_173872
https://www.bi-athlet.de/index.php/blog/45-das-bett-des-prokruste
Diodor von Sizilien: Bibliothek 4,59 – Frühe Erwähnung der Taten des Theseus, inkl. Prokrustes’ Schicksal.
Plutarch: Leben des Theseus 10–11 – Biographie Theseus’, beschreibt die Begegnung mit Prokrustes ausführlich.
Pausanias: Beschreibung Griechenlands 1,38,5 – Nennung des Polypémon (Prokrustes) und Lokalisierung nahe Eleusis.
Ovid: Metamorphosen VII, 433–443 – Römisches Epos mit kurzer Erwähnung, wie Theseus Prokrustes besiegt.
Pseudo-Apollodor: Bibliotheke (Epitome I,4) – Griechisches Sagenhandbuch, Zusammenfassung der Theseus-Sage inkl. Prokrustes.
Hyginus Mythographus: Fabulae 38 – Kurze Notiz zu Prokrustes und anderen Räubern, die Theseus tötet.
Bakchylides: Fragment 18, Z. 19–30 – Dithyrambos über Theseus, indirekte Anspielung auf Prokrustes’ Hammer.
Xenophon: Erinnerungen an Sokrates 2,1,14 – Erwähnt das „Prokrustesbett“ metaphorisch in philosophischem Kontext.
Babylonischer Talmud: Sanhedrin 109b – Folkloristische Weitererzählung: Abraham’s Diener begegnet Prokrustes (Motivübernahme).
Encyclopædia Britannica: “Procrustes” – Fachredaktioneller Artikel mit Zusammenfassung des Mythos und der sprichwörtlichen Bedeutung.
Encyclopedia Mythica (pantheon.org): “Procrustes” – Engl. Online-Nachschlagewerk, Bedeutung des Namens („Stretcher“) und Mythos knapp erklärt.
Kadr, George: “Das Bett des Prokrustes – Ein Bild für das grausame Schicksal der Geflüchteten.” In: Abwab.eu, 15. April 2018. – Kulturjournalistischer Artikel, rekapituliert den Mythos (Poseidonsohn, Schmied, Berg Aigaleos) und nutzt das Prokrustesbett als Metapher für Integrationspolitik.
Roscher, W.H. (Hrsg.): Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie, Leipzig 1886–1909, Bd. 1 & 3 (Stichworte „Damastes“, „Polypemon“). – Wissenschaftliches Nachschlagewerk mit Details und Quellenangaben zu Prokrustes.
Riordan, Rick: Percy Jackson – Diebe im Olymp (Original: The Lightning Thief, 2005). – Populärer Jugendroman, in dem Prokrustes als “Crusty” in moderner Gestalt auftaucht; trägt zur Bekanntheit der Figur in der heutigen Popkultur bei.
Disclaimer
In der Mythologie gibt es zumeist mehrere Quellen, die einen Mythos erzählen. Das hat zur Folge, dass es oft verschiedene Versionen einer Geschichte gibt. Wir beschränkten uns an dieser Stelle auf die für uns schlüssigste und schönste Erzählung. Wenn alles schlüssig und logisch und kohärent sein soll, dann ist man bei der Mythologie an der falschen Adresse.
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