Kratos – Die Personifikation der Macht
Kratos ist die rohe, unerbittliche Macht selbst, in Fleisch und Blut gegossen. In Hesiods Theogonie steht er gemeinsam mit seinen Geschwistern Nike, Zelos und Bia Zeus treu zur Seite, wenn dieser die Titanen stürzt. Kratos hat seitdem keinen eigenen Tempel und keine Hymnen erhalten, doch sein Name hallt als Echo der Autorität durch die Jahrtausende. Im folgenden Beitrag beleuchten wir die Herkunft, die Geschichten und die Symbolik hinter der Personifikation der Macht und ziehen Fäden bis in die Gegenwart.
Inhaltsverzeichnis
Wer war Kratos?
Der Name Kratos (κράτος) bedeutet im Altgriechischen „Stärke, Macht, Herrschaft“. Er ist etymologischer Bestandteil von Begriffen wie Demokratie (δημοκρατία – „Herrschaft des Volkes“) oder Theokratie („Herrschaft Gottes“). Hesiod berichtet, dass die Okeanide Styx sich mit dem Titanen Pallas verband und vier Kinder gebar: Zelos (Eifer), Nike (Sieg), Kratos (Macht) und Bia (Gewalt). Die vier Geschwister stellten sich früh auf die Seite Zeus’, als dieser gegen seinen Vater Kronos rebellierte. Aus Dankbarkeit für ihre Treue erlaubte Zeus ihnen fortan auf dem Olymp zu wohnen. Sie verkörperten die Eigenschaften, die dem neuen Götterkönig zur Herrschaft verhalfen.
Der Mythograph Apollodor berichtet ähnliches. In seiner Bibliothek listet er Pallas und Styx als Eltern von „Sieg, Herrschaft, Eifer und Gewalt“ und führt weiter an, dass Zeus sie aus Dankbarkeit an seine Seite rief und die Wasser der Styx zu heiligen Eidströmen machte.
Als personifizierte Kraft erscheint Kratos selten in der bildenden Kunst. Es gibt keine überlieferten Statuen, die ihm geweiht sind, und auch in der Vasenmalerei tritt er kaum auf. Aus Aischylos’ Tragödie „Der gefesselte Prometheus“ kennen wir jedoch seine Rolle: Zusammen mit seiner Schwester Bia führt Kratos den geschundenen Prometheus an den Rand der Welt und zwingt Hephaistos, den Titanen in Ketten zu legen. Dort spricht Kratos mit harter Stimme und fordert unnachgiebige Bestrafung.
Die Personifikation der Macht
Kratos verkörpert keine persönliche Stärke, sondern die unbedingte Durchsetzungsmacht des Herrschers. Er trägt keine Waffen; seine Kraft besteht darin, den Willen des Zeus zu vollstrecken. In „Der gefesselte Prometheus“ mahnt er Hephaistos, dass es gefährlich sei, die Befehle Zeus’ zu missachten. Die antiken Dichter machen deutlich, dass Kratos keine Gnade kennt: Sein Wortlaut ist hart, seine Loyalität gegenüber Zeus absolut. Er steht damit für staatliche Gewalt und Zwang.
Vollstrecker des Zeus
Die wichtigste Erzählung über Kratos findet sich in Aischylos’ „Der gefesselte Prometheus“. Gleich zu Beginn der Tragödie führt er den gefesselten Titanen herbei und kommandiert den schmiedehandwerklichen Gott Hephaistos: „An die entlegenste Grenze der Erde sind wir gekommen … deine Pflicht ist es, die Befehle des Vaters zu erfüllen“.
Hephaistos zögert, einen Verwandten zu fesseln, doch Kratos spottet über dieses Mitgefühl und mahnt zur Gehorsamkeit. Der grausame Dialog zeigt Kratos als Vollstrecker von Zeus’ Willen, der weder Mitleid noch Zweifel kennt.
Rolle in der Titanomachie
In der Titanomachie, dem Kampf der Olympier gegen die Titanen, spielten Kratos und seine Geschwister nur eine indirekte Rolle. Ihre Mutter Styx brachte sie als erste Verbündete zu Zeus. Hesiod schildert, dass die Kinder der Styx fortan mit Zeus auf dem Olymp lebten. Diese Episode erklärt, weshalb Kratos später so eng mit der Herrschaft des Zeus verknüpft ist. Die Titanenschlacht selbst bestreiten Götter wie Hekatoncheiren und Kyklopen; Kratos steht für die Macht, die den Sieg und die Ordnung nach dem Chaos sichert. Er ist das ein Symbol, das auftaucht, wenn Gewalt und Autorität thematisiert werden.
Symbolik und Bedeutung
Kratos steht für Macht in ihrer reinsten Form. In der Antike wurde sein Name verwendet, um Herrschaftsformen zu beschreiben – Demokratia (Volks‑Herrschaft), Aristokratia (Herrschaft der Besten) und Theokratia (Herrschaft Gottes).
Als Sohn der Styx, des Flusses der göttlichen Eide, symbolisiert er die Bindung von Macht und Recht. Gleichzeitig verkörpert er die Kehrseite der Macht: unbarmherzigen Zwang und die Bereitschaft, Gewalt anzuwenden.
In Aischylos’ Tragödie „Der gefesselte Prometheus“ wird Kratos bewusst als Unsympath dargestellt, um die Willkür von Zeus’ Herrschaft zu kritisieren.
In moderner politischer Philosophie findet sich der Begriff Kratie (z. B. Technokratie) noch immer als Bestandteil von Herrschaftsbegriffen – ein Echo dieser alten Personifikation.
Kratos in der Popkultur
In der heutigen Popkultur ist der Name Kratos untrennbar mit der Videospielreihe „God of War“ verknüpft. Die Spielfigur teilt den Namen und die äußere Kraft, hat mit der antiken Personifikation jedoch kaum etwas gemein: Während der mythologische Kratos ein gehorsamer Handlanger ist, ist der Videospiel‑Kratos ein spartanischer Krieger, der sich gegen die Götter auflehnt. Der Erfolg der Spiele hat dennoch dazu geführt, dass viele Menschen erstmals von Kratos hören. In Comics, Fantasy‑Literatur und Filmen tauchen ebenfalls Figuren namens „Kratos“ auf, die die Idee der überwältigenden Macht variieren. Solche Neuinterpretationen zeigen, wie flexibel antike Motive sein können: Der Name bleibt ein Symbol für Stärke, auch wenn seine Rolle sich wandelt.
FAQ
War Kratos ein verehrter Gott?
Nein. Kratos war eine Personifikation abstrakter Macht und hatte keine eigene Kultgemeinde. Er erscheint in literarischen Werken wie Hesiods „Theogonie“ und Aischylos’ „Der gefesselte Prometheus“ aber es gibt keine Hinweise auf Tempel oder Priester.
Wer waren Kratos’ Eltern?
Kratos ist der Sohn des Titans Pallas und der Flussnymphe Styx.
Hatte Kratos Geschwister?
Seine Geschwister sind Zelos (Eifer), Nike (Sieg) und Bia (Gewalt).
Welche Rolle spielt Kratos in der Fesselung des Prometheus?
In Aischylos’ Tragödie „Der gefesselte Prometheus“ führt Kratos gemeinsam mit Bia den gefesselten Titanen herbei und zwingt Hephaistos, Prometheus an einen Felsen zu ketten. Er repräsentiert die unnachgiebige Autorität des Zeus und verspottet jeden Anflug von Mitleid.
Ist der Kratos aus „God of War“ identisch mit dem mythologischen Kratos?
Nein. Die Spiele verwenden nur den Namen und das Konzept der Stärke. Der Spielfigur fehlen die literarischen Wurzeln und der familiäre Hintergrund der antiken Personifikation. Dennoch verweist der Name auf die griechische Herkunft und die Idee der rohen Kraft.
Quellen
Hesiod – Theogonie 383–394. Perseus Digital Library, englische Übersetzung von H. G. Evelyn‑White. Link.
Aischylos – Prometheus Desmotes 1‑35. Übersetzung von Herbert W. Smyth, Perseus Digital Library. Link.
Apollodor – Bibliotheke 1.2.4–1.2.5. Loeb‑Übersetzung nach J. G. Frazer (Theoi Project). Link.
Theoi Project – Pallas. Artikel über den Titanen Pallas und seine Kinder. Link.
Theoi Project – Styx. Artikel über die Flussgöttin Styx und ihre Kinder. Link.
Disclaimer
In der Mythologie gibt es zumeist mehrere Quellen, die einen Mythos erzählen. Das hat zur Folge, dass es oft verschiedenen Versionen einer Geschichte gibt. Wir beschränkten uns an dieser Stelle, auf die für uns schlüssigste und schönste Erzählung. Wenn alles schlüssig und logisch und kohärent sein soll, dann ist man bei der Mythologie an der falschen Adresse.
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